Tag 4 // 27. Dezember 2013

Ich bin in Lüderitz, sitze auf der Terrasse des Nesthotels und blicke auf den Atlantik. Neben mir ein Lightbeer, Windhoek Light, sehr lecker und erfrischend – besonders bei 35 Grad im Schatten. Es ist warm und windig. Der Atlantik rauscht. In der Bucht ankert ein großer Tanker. Heute sind wir durch die Namib gefahren. Eine
beeindruckende Wüste. Karge Felswüste mit wenig Vegetation wechselt sich ab mit nacktem Fels und geht über in hohe, helle Sanddünen soweit das Auge reicht. In der Entfernung sah man hin und wieder die roten Dünen der Sousslvlei aufleuchten. Dahin geht es erst in ein paar Tagen, wenn wir uns wieder Richtung Norden orientieren. Lüderitz ist die südlichste Anlaufstelle der Reise.  

In Lüderitz sind die deutschen Spuren noch deutlich erkennbar. Bismark-Straße, Nachtigall-Straße und viele alte Häuser im Kolonialstil wechseln mit modernen Funktionsbauten. Der Spar-Markt an der Ecke führt deutsche Produkte. An den Kolonialhäusern prangen Schriftzüge wie „Männerturnverein“.   Ist Afrika so wie ich es mir vorgestellt habe? Nein. Jedenfalls nicht hier. Lüderitz könnte auch in Portugal liegen. Die Wüste und die Berge drumherum erinnern an den Südwesten der USA. Bis auf die Tiere. Dort gab es allerdings keine Springböcke, Oryxe oder Strauße zu sehen.   Lüderitz ist kein Badeort. Das Meer ist dafür zu kalt. Obwohl in diesem Moment einige Kinder im Wasser unten am winzigen Hotelstrand plantschen. Aber nur kurz. Auch ist der Ort nicht hübsch. Die Küste ist von dunklen Felsen gesäumt, unterbrochen von hässlichen Industriemolen. Dahinter teils verfallene Bauruinen. Ich hatte mir diesen Ort pittoresker vorgestellt. In Deutschland hätten sie aus einem so historischen Örtchen bereits eine boomende Touristensause gemacht. Aber wir sind nicht in Deutschland, was einige Mitreisende anscheinend zutiefst bedauern. Mehrfach haben sie bereits „die afrikanische Faulheit“ bemängelt. Ich finde solches Gerede sehr vermessen. Das hört sich nach Kolonialherren-Sprech an! Eine Mitreisende meckerte über die Langsamkeit mit der sich die Warteschlange vor der Supermarktkasse fortbewegte und meinte allen Ernstes, das läge sicher an den kleinen Gehirnen. Ich war einfach nur sprachlos in dem Moment. Wie kann man nur so borniert sein? Ein anderer meinte, die würden doch hier nie etwas auf die Beine stellen, weil sie überhaupt kein Interesse zeigten an irgendwas. Erschütternd diese Einstellungen. Sicher funktioniert hier nicht alles so wie in Deutschland. Und ja, es gibt 52 Prozent Arbeitslosigkeit. Das ist ein furchtbarer Zustand. Doch das kann man doch nicht der Langsamkeit der Menschen oder einer scheinbaren Interessenlosigkeit zuschreiben.  

Namibia ist seit 23 Jahren unabhängig. Es hat Politiker, die lieber Heldenfriedhöfe bauen als Schulen und Krankenhäuser. Das Land ist zweieinhalb Mal so groß wie Deutschland. Im Gegensatz dazu, leben in Namibia aber nur 2,1 Millionen Menschen. Große Teile des Landes sind unwirtliche Wüsten, in denen trotzdem Menschen der Erde abtrotzen was geht. Oder Ziegen und Rinder halten auf Farmflächen, die nicht so aussehen wie fruchtbares Weideland, sondern karg und trocken, aber dafür endlos scheinen. Für den Eigenbedarf schafft es Namibia viele Dinge selbst herzustellen. Aber es reicht nicht zum Export. Ich hatte unseren Guide gefragt wie es mit der ökologischen Landwirtschaft aussieht, ob das nicht ein weltweiter Absatzmarkt wäre bei der immer weiter steigenden Nachfrage in den westlichen Ländern. Er antwortete, hier in Namibia sei alles ökologische Landwirtschaft. Da es wegen des trockenen Klimas so gut wie keine Schädlinge gibt, muss nichts gespritzt werden. Doch der produzierte Ertrag reicht eben
nicht aus, um maßgebliche Mengen davon in den Export zu geben. Und mehr Anbauflächen zu schaffen ist schwierig wegen des allerorts fehlenden Wassers. Namibia gilt unter den afrikanischen Staaten noch nicht einmal als armes Land. Ich frage mich, wie sieht es dann in den als arm geltenden Ländern aus?  

Auf dem Weg nach Lüderitz musste ich daran denken, wie sehr es meinem Mann hier gefallen hätte. Etwa 100 Kilometer vor Lüderitz, nahe Aus, gab es ehemals ein Internierungslager für deutsche Gefangene, das die Engländer dort errichtet hatten. Das hätte ihn sehr interessiert. Der Guide erzählte, dass davon nichts mehr zu sehen ist. Selbst eine eiserne Erinnerungstafel wurde vor einigen Jahren von der namibischen Regierung entfernt. Denn alle deutschen Spuren werden in diesem Land Stück für Stück getilgt. Während wir in Namibia unterwegs sind, tobt in der Hauptstadt Windhoek ein Streit über das Entfernen eines Reiterdenkmals, das an die deutschen Kolonialkriege gegen die Herero und Nama erinnerte.

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