Ich hatte ja keine Ahnung. Tanzen? Tanzen hieß bislang auf einer Party ein bisschen rumhopsen. Jeder schön für sich alleine und ab und an engtanzen zu Kuschelrock 19. Paartanz? Schrittfolgen? Figuren tanzen? Der Herr begleitet die Dame am Ende des Tanzes zum Tisch? Nee. Das war doch alles 1978, Tanzstunde zu Musik, die man mit 14 bescheuert fand und die mich damals nicht zum Fan des Paartanzes machten sollte.
Nun. Die Folge dieses pubertäres Prägung war: Ich habe seit 1978 so gut wie nie wieder Cha Cha, Rumba oder Foxtrott getanzt. Dabei hatte ich Cha Cha gemocht, schon damals, mit 14.
Szenenwechsel. 38 Jahre später. Der Liebste schlägt vor, an einem Tanzworkshop teilzunehmen. Klar. Warum nicht. Ein bisschen koordinierte Bewegung tut bestimmt gut. Und lustig kann das vielleicht auch sein. Ich gucke in den Seminarplaner. Ballroom Dance Special, das klingt interessant. Ich, Kind der 70er, habe sofort „Ballroom Blitz“ von Sweet im Ohr. Ok, dass sie das dort spielen erscheint mir unwahrscheinlich. Dennoch zieht mich genau dieses Wort an. Ballroom – das klingt nach knisternden, knielangen Taftkleidern mit ausgestelltem Rock, nach Eintänzern und Bowle und 50er-Jahre-Musik. Außerdem findet das Wochenende in einem schönen, alten Gutshof im Märkischen statt, der Ballroom liegt direkt am See. Wenn es doof sein sollte, kann man sich also immer noch ein nettes Badewochenende machen. Denke ich.
Gebadet haben wir. Ja, in Schweiß. Bei 31 Grad schwüler Sommerhitze wird so ein 1-2-Cha-Cha-Cha zu einem Hochleistungssport mit Abnehmgarantie. Und dieser Sport hat saumässig Spaß gemacht! Was war das für ein Vergnügen als die ersten Drehungen beim langsamen Walzer klappten und mein Süßer mich übers Parkett schweben ließ. Und als wir erst entdeckt haben, dass wir ein Milonga-Paar sind!! Wow! Ist das cool mit leicht gebeugtem Knie, im Rückwärtsschritt, die Schultern aneinander geschmiegt durch den Raum zu schieben. Foxtrott und Disco-Fox, ok, das haben wir so mitgenommen, das war keine Liebe auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick. Bei Cha Cha und Charleston gingen unsere Leidenschaften etwas auseinander. Und dennoch, die Leidenschaft für das Tanzen im Allgemeinen ist geweckt, der Tangokurs für nächstes Jahr gebucht.
Etikette hat nichts mit Etikett zu tun
Noch etwas anderes hat mich an diesem Workshop sehr berührt – und zwar, welchen Wert Etikette im Leben einnehmen kann. Es macht einfach einen Unterschied, ob man gefragt wird: „Ey, komm‘ … tanzen!“ (und einen die Hand des Partners dabei mit einen leichten Klaps auf den Oberarm zum Aufstehen auffordert). Oder ob jemand sagt: „Darf ich bitten?“ (und der Partner einem dabei die geöffnete Hand als Einladung zum Aufstehen hinhält).
Benehmen gehört genauso selbstverständlich zum Tanzen wie Musik. Und so hat es wirklich großes Vergnügen gemacht, von unseren Tanzlehrern zwischendurch immer mal wieder eine Lektion in Etikette zu erhalten. Der Mann geht beispielsweise treppab immer eine halbe Stufe vor der Dame, treppauf eine halbe hinter ihr. Maximal drei Tänze, dann sollte man die Dame fragen, ob eine Pause genehm ist. Dazu führt der Mann sie zum Platz, rückt ihr den Stuhl zurecht und erkundigt sich nach ihrem Getränkewunsch. Herrlich! Ich finde das toll! Und gleich mal vorab: Das hat überhaupt gar nichts mit einem reaktionären Rollenbild zu tun, sondern mit Höflichkeit. Und an der mangelt es unserer Tage leider viel zu häufig.
Mein Fazit nach 3 Tagen Ballroom Dance lautet: Es ist eine tolle Gelegenheit mal komplett aus dem Alltag rauszutreten. Man hat eine außergewöhnliche Zeit zu zweit. Schaut dem Partner mal wieder richtig lange in die Augen. Und für das Zweierlei ist Tanzen eine sehr gute Übung in Vertrauen. Sich selbst und anderen.
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