Im November 2019, als mein Mann Joachim starb, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals wieder in unserem geliebten Garten zu arbeiten. Schon allein das Sitzen im Garten war mir ein Graus. Und dennoch tat ich es.

Jeden Morgen packte ich mich warm ein, ging mit meinem ersten Kaffee hinaus, setzte mich in Joachims Gartenstuhl, dort wo er in den vergangenen 16 Monaten jeden Morgen mit Kaffee und Zigarette gesessen hatte, lehnte mich in das Polster und spürte ihm nach. Ich spürte seine Wärme in meinem Rücken, seine Berührung, seine Liebe.

Ich betrachtete unseren Garten. Was hatten wir geschaffen in diesen 16 Monaten! Wir hatten Blumenbeete angelegt, Bäume und Büsche gepflanzt, Stauden gesetzt, ein Naschbeet und ein Kohlbeet ausgehoben, Hochbeete gezimmert, Komposte gebaut, eine Terrasse überdacht und ein Gartenhaus renoviert.

Ich saß dort in seinem Stuhl und sah Joachim, wie er Unkrautfolie herauszog, Steine schleppte, eine Abflussleitung legte, einen Verschlag fürs Kaminholz baute, wie er grub, hackte und mähte. Ich hörte seine Bitte an mich, an diesem Morgensitzplatz seine geliebten Osterglocken zu pflanzen. Ich sah seine überschäumende Freude, wenn er mir eine neue Pflanze für den Garten mitbrachte.

An jedem Morgen waren wir zusammen durch den Garten gegangen, hatten voller Staunen und Freude gesehen wie alles wächst und blüht. Das Wunder der Natur war wie unser gemeinsames Wunder der Liebe. Wir waren vom ersten Moment an verliebt gewesen und unsere Liebe wuchs von Tag zu Tag, war so klar und erfrischend wie die Blüte einer Osterglocke. Hier mit diesem Garten hatten wir das gefunden, was uns gemeinsam erfüllte.

Vorbei.

Jetzt gehe ich morgens allein durch den Garten. Sehe in jeder Blume, in jedem Strauch die Geschichte, welche die Pflanze mit uns verbindet. Gerade sprießt der Bärlauch, auf den wir beide uns vergangenes Jahr so gefreut hatten als wir ihn setzten. Und Joachims Sauerampfer liefert bereits zartgrüne Blätter für erfrischende Smoothies. Auch sein geliebter Mangold schlägt wieder aus. Und die Knospen des Kirschbaums, den wir gemeinsam ausgesucht haben, stehen kurz vor dem Aufbrechen. Ich höre unsere Gespräche über die Himbeere oder den Bambus und ob sie vielleicht zu Raum greifend sein würden. Und ich musste lächeln dieser Tage als ich sah wie emsig die Himbeere Ableger produziert. Joachim hatte mich gewarnt…

Alles ist voll von unseren Geschichten. Jetzt werden sie nicht mehr fortgeschrieben, jedenfalls nicht mehr als unsere Geschichten. Alles, was ab jetzt dazukommt, ist nur noch meine Geschichte. Wieder einmal stehe ich da mit der Rechnung „Wir minus eins gleich eins“.

Jetzt ist Frühjahr. Joachims Tod ist viereinhalb Monate her. Und die Natur gibt einen Scheiss darauf, ob es mir gut geht oder nicht. Das Unkraut sprießt, die Büsche wachsen, Blumen wollen bewundert und Beete geharkt werden. Und so schwer es mir auch fiel, ich habe auf die Natur gehört. Ich habe Unkraut gejätet, Beete vom Winterkleid befreit, gehäckselt und geharkt. Ich habe jemanden engagiert zum Büsche beschneiden und Rasen mähen. Und das fiel besonders schwer, denn das wären Joachims Arbeiten gewesen.

Vor ein paar Tagen habe ich sein Kohlbeet gesäubert, von dem Kohl befreit, den Joachim im Winter nicht mehr ernten und nicht mehr essen konnte. An seinem Morgensitzplatz blühen gerade die Osterglocken, die ich im Herbst dort für ihn gepflanzt hatte. All das sind kleine Abschiede, die jeden Tag zu einer Herausforderung werden lassen. Die Herausforderung heißt: Weiterleben und nicht aufgeben. Wie das geht? Die Natur macht es vor. Sie kennt keine Trauer. Sie macht einfach weiter.

 

Joachim mit seinem ersten geernteten Kohl