Letztes Jahr um diese Zeit waren es noch ein paar wenige Tage bis ich nach Namibia aufbrechen sollte. Meiner Flucht vor Weihnachten, vor Silvester, vor allen Erinnerungen, die mit einem Leben verbunden waren, dass so nicht mehr existierte. Als ich damals zurückkam, beschloss ich sofort: Das machst du nächstes Weihnachten wieder. Wieder weg zu sein von all dem Singsang, Bimmelbammel und Engelchengetue erschien mir die beste Lösung, um erst gar keinen Erinnerungshorror aufkommen zu lassen. Dafür lieber irgendwo sein, wo es Affenbrot- statt Weihnachtsbäume gibt, wo einen Löwengebrüll weckt statt Rentierglöckchengeklingel. Gesagt, getan, gebucht.Einzig anders soll in diesem Jahr sein, dass sich mir eine Freundin anschließen wollte. Ich fand ihren Vorschlag gemeinsam zu reisen sofort gut. Denn vergangenes Jahr, da war es diese berühmte Reise zu mir selbst gewesen, da war dieses Mir-etwas-beweisen-wollen, das Gefühl von „Du funktionierst auch wieder allein“, was mich zu meiner Soloreise hatte aufbrechen lassen. Was auch gut und absolut richtig und wichtig war. Dazu stehe ich nach wie vor. Doch dieses Jahr wollte ich Begleitung und soll sie auch bekommen. Und ich freue mich drauf, am Heiligen Abend, allen anderem Abenden und an Silvester nicht irgendwo im Hotelzimmer zu sitzen und mich allein durch die Minibar zu trinken. Nein, dieses Jahr wird dem Weihnachtsruf der Hyäne gemeinsam gelauscht, suchen wir zu zweit das Zimmer nach giftigem Getier ab und lassen uns zum Jahreswechsel die Cocktails unter Schirmchen am Strand schmecken. So ist es gedacht. So soll es sein.

Und doch ist dieses Jahr plötzlich alles noch ganz anders als gedacht. Denn plötzlich fällt es mir schwer, wegzufahren. Es fällt schwer, keinen Baum zu schmücken. Keine Kekse zu backen, keinen Punsch zu rühren, keinen Schnee leise rieselnd zu begehen und zu besingen. Keine Gans zu braten. Kein Kirschwasser ins Käsefondue zu rühren. Und nicht mit den Nachbarn um Mitternacht am Steg zu stehen und dem Silvesterfeuerwerk über der Altstadt zuzuprosten. Plötzlich und unerwartet will ich diesen ganzen Schnickschnack wieder. Will die Weihnachtsbaumschmuckkiste wieder gemeinsam vom Schrank holen. Zusammen in der Küche Keksteig futtern. Über Punschbecher hinweg einander tief in die Augen schauen. Hand in Hand durch Schnee stapfend zur Freude und Verwunderung der anderen Spaziergänger laut Weihnachtslieder singen. Mit erwartungsvollen Blicken zwei Nasen in köstlich duftende Töpfe stecken. Und Arm in Arm dem Widerschein des Feuerwerks auf der Spree zuschauen. Denn plötzlich ist da wieder jemand, mit dem ich all diese Dinge tun will.

Wer hätte das gedacht vor einem Jahr? Ich nicht. Und genau deswegen schreibe ich nach meiner Zeit der Trauer noch einmal so einen sehr persönlichen Text wie diesen hier. Denn ich möchte euch allen da draußen, die Ähnliches erlebt haben wie ich, die geliebte Menschen verloren haben, die verzweifelt sind, die denken, es wird und wird und wird nie wieder besser. Euch allen möchte ich sagen: doch. Es wird besser. Ich empfand und empfinde den Spruch „Das Leben geht weiter“ als lapidar und strapaziert. Aber, dummerweise, er stimmt. Wir leben weiter. Sind noch hier. Unsere lieben, gestorbenen  Menschen (hoffentlich) auch. In uns und um uns, wenn wir es zulassen können. Ich konnte. Und das hat mich stark gemacht. Stark hat mich der Moment gemacht, als ich erkannt habe, dass ich noch lebe, noch leben darf, noch leben kann. Ab da konnte plötzlich wieder Liebe sein. Neue Liebe. Große Liebe. Andere Liebe. Und das ist ein so guten Gefühl. Überwältigend gut. Ich wünsche euch allen alles Gute und viel Glück und Liebe im Neuen Jahr.