Entspannung im Garten

Ursprünglich komme ich ja vom Land. Ich kenne Weite. Ich kenne Stille. Ich kenne Kleinbürgerlichkeit. Ich kenne ländliche Spießigkeit. Weite bedeutete damals, als ich noch auf dem Land lebte,  so schnell wie möglich den Führerschein machen, um wegfahren zu können. Stille bedeutete damals Langeweile und Öde. Kleinbürgerlichkeit und Spießigkeit bedeuteten, nichts tun zu können, ohne dass die Nachbarn, die Vereinsmeier und Sonstige es sofort mitbekommen bzw. getratscht bekommen hätten. Landleben bedeutete für mich als Jugendliche: So schnell wie möglich weg da.

Und das habe ich damals auch so schnell wie es nur irgendwie ging realisiert. Kaum war das Abitur in der Tasche, hatte ich meine erste eigene Wohnung in der nächstgelegenen Universitätsstadt angemietet und tauschte die mittelgroße Kleinstadt gegen eine mittelkleine Großstadt. 100.000 Menschen mehr bedeuteten 100.000 mal mehr Anonymität.

Pro und Contra Eiertausch

So habe ich nun über die letzten 35 Jahre in immer größerer Anonymität gelebt. 120.000 Einwohner, 450.000 Einwohner, 3,5 Millionen Einwohner. Als ich nach Berlin kam, habe ich genau das geschätzt: das Abtauchen in die völlige Anonymität. Jahrelang habe ich nicht einmal meine Nachbarn gekannt. Fehlende Eier oder Bohrmaschinen wurden nicht ausgeliehen, sondern gekauft. Jetzt wird wieder ausgeliehen. Wir waren hier im Westerwald noch nicht eingezogen, als wir mit den Nachbarn bereits auf Du waren. Sie stellen in unserer Abwesenheit unsere Mülltonnen raus und der Austausch elektronischen Werkzeugs funktioniert bestens. Und ein fehlendes Ei bekomme ich bestimmt auch anstandslos von einer meiner Nachbarinnen.

Aber bin ich nun wegen der Eier umgezogen? Nein. Oder zumindest nicht nur. Auch in Berlin hatte ich die vergangenen 11 Jahre eine tolle Nachbarschaft. Da hatte ich eben im Osten der Stadt gewohnt, in der ehemaligen DDR. Und da gab es mit den überwiegend noch alteingesessenen Ossis eine gute Nachbarschaft, in der auch mal Eier oder Bügeleisen ausgeliehen oder feucht-fröhliche Nachbarschaftsfeste gefeiert wurden. Unnett wurde es dort erst, als weitere Wessis zuzogen. Da lebte plötzlich die Ich-Gesellschaft auf, die Wir-Gemeinschaft schwand zusehens. Ist also der Großstadt-Wessi ein anderer als der Land-Wessi? Vielleicht.

Ich stell‘ mich dann mal vor

Jetzt hier im Westerwald sind die Wessis jedenfalls anders als in Berlin. Neulich klingelte es vormittags an der Haustür. Als ich öffnete, stand dort eine mir unbekannte ältere Dame. Sie stellte sich als Besitzerin eines unserer Nachbarhäuser vor, und sagte, sie habe geklingelt, um einfach mal „Guten Tag“ zu sagen und sich vorzustellen. Sie selbst wohne nicht in dem Haus und sei nur ab und zu mal da. Aber sie wohne nur ein paar Straßen weiter, wo sie vergangenes Jahr, mit ihren 70 Lenzen, hingeheiratet habe. Das alles wusste ich natürlich bereits – von unseren anderen Nachbarn. Aber egal, diese Geste, einfach zu klingeln, um Hallo zu sagen, fand ich sehr rührend. Wir verabschiedeten uns auf eine nächste Plauderei bei einem Glas Wein.

Genauso unkompliziert funktionierte auch die Vorstellung zu den anderen Nachbarschaftsseiten um unser Haus herum. Ein freundliches Hallo über den Zaun, eine kurze Plauderei, eine Einladung auf ein baldiges Bierchen auf der einen oder anderen Terrasse. Und alle sind sofort per Du.

Übern Zaun

Natürlich birgt das eben mal über den Zaun gucken auch seine Fallen. Hier kommen sie vielleicht herein, die Kleinbürgerlichkeit und Spießigkeit, vor der ich vor über 35 Jahren geflohen bin. Klar, gucke ich auch, wie es in Nachbars Garten aussieht und was auf der Wäscheleine hängt. Und mir ist auch klar, dass zurückgeschaut wird, vielleicht auch beurteilt und geurteilt wird. Und genau an dem Punkt ist jetzt alles anders. Eine Urteilerei, die mich früher unendlich gestört hat, die mich die Anonymität hat suchen lassen, diese Urteilerei ist mir heute völlig egal. Wer urteilen will, der urteile. Wer Gartenzwerge aufstellen will, soll dies bitte tun. Und wer meinen Bunte-Lichter-Garten crazy findet, soll das auch gerne tun. Jeder nach seiner Fasson, bitteschön.

Landleben reloaded

So ist nun meine Rückkehr aufs Land  von der Erkenntnis begleitet, dass es sich doch sehr angenehm lebt auf dem Ländchen. Die Wege sind kurz, Verkehrsstaus bestehen aus drei Autos vor der Einfahrt in den Kreisel, überall hat man Zeit für ein Schwätzchen, der Hausarzt hat jede Menge Parkplätze vorm Haus und einen Termin innerhalb von weniger als 12 Stunden frei. Zudem bin ich hier ganz entspannt Besitzerin einer Hotelkette – ich habe eine Bienenhotel und ein Marienkäferhotel. Es wachsen bereits Radieschen, Salat und Erdbeeren in meinem Garten. Und Heidelbeeren, Arionabeeren und Gojibeeren warten darauf, dass ich sie einpflanze.

Und was die Eier betrifft, gehen wir demnächst unter die Selbstversorger! Der Hühnerstall ist bereits in Planung. Und dann wird mit den Nachbarin über den Zaun Eier getauscht – und zwar ganz frisch gelegte.