„Mehr Licht“. Goethe tat diesen Ausspruch wahrscheinlich nicht, weil ein eben vor seinem Fenster gefällter Baum mehr Licht auf den Dichter im Sterbebett fallen ließ. Dennoch benannte der Naturforscher im Dichter damit das Phänomen, was gemeinhin mit dem Fällen von Bäumen verbunden ist. In Fenster, Räume und Wohnungen fällt mehr Licht. Und damit sind wir auch schon am Ende der Positivliste, was das Bäumefällen betrifft.

Ja, er mag morsch gewesen sein und deshalb gefährlich für die unter ihm grillenden und feiernden Angler des ortsansässigen Angel- und Bootsvereins. Selbstverständlich geht Sicherheit vor Schönheit. Und nochmal Ja, es mag wichtigere Themen geben, die den Weltfrieden bedrohen. Natürlich sind Kriege, Hunger, Armut, Korruption und Paradise Papers die dringlicheren Probleme, die es zu lösen gilt. Und dennoch. Es gibt eben auch Bäume, die wichtig sind. Und irgendwie hängt das Fällen „meines“ Baumes auch mit Panama, Paradise und den internationalen Immobilienspekulanten zusammen.

Denn wäre nicht der Berliner Wohnraum so begehrt, hätte der nette, ältere Herr Nachbar aus der entzückenden Jugendstil-Villa von nebenan, vermutlich nicht die seit Jahrzehnten vor sich hin dämmernde Brache mit Wasserblick verkauft. Auch würden die vielen anderen schönen Bäume noch dort stehen, die bereits in den vergangenen Jahren ihr vorzeitiges Ende im laut vor sich hin röhrenden Häcksler eines Baumentsorgers fanden. Und auch die Jugendstilvilla würde weiter inmitten der idyllischen Gartenbrache ihren Traum weiterträumen, sie sei ein verwunschenes Schloss. Heute steht das vermeintliche Schloss verängstigt geduckt inmitten von grauen Betonblöcken, die das kleine Schlösschen mit seinen Türmchen wie böse Riesen argwöhnisch von oben herab beäugen.

Immobilienblase, ick hör‘ dir platzen

Argwöhnisch beäugt wurde auch die besagte Baustelle – von meinen Nachbarn und von mir. Denn selbstverständlich verändert sich ein Kiez, wenn in großer Zahl gebaut wird, zum Guten wie zum Schlechten. Gemunkelt wurde über die Bauten so einiges in den vergangenen Jahren. Meistbietend an solvente Chinesen und neureiche Russen soll der schöne Wohnraum mit Wasserblick verkauft worden sein. Selbstverständlich nur als Investition. Die Paradise Papers lassen grüßen.

Nun, egal, wer mit seinem Geld nirgendwo hin weiß, kauft sich ’ne Wohnung in Übersee. Auch wenn manch einer von den Alteingessesenen hier am Ort vielleicht heimlich vor sich hin berlinert hat, „Immobilienblase, ick hör‘ dir platzen“, war dem bislang nicht so. Es wurde gebaut, und inzwischen wird sogar schon bewohnt. Wer von den Neukäufern und Neumietern allerdings nach den hübschen Bildchen im Projektierungsprospekt der Immobilienfirma seine Traumwohnung ausgewählt hat, wurde spätestens heute bitter enttäuscht. Versprochen wurde den Käufern/Mietern eine zauberhafte Wohnlage am Wasser inmitten eines herrlichen Baumbestandes. Auf den Fotos der Immobilienfirma hörte man die altehrwürdigen, großen Bäume beinahe rauschen, sanft im Wind tanzend zur träg und leise dahinplätschernden Spree.

Tja, einst sah es hier tatsächlich so aus. Seit heute gehören diese Bilder der Vergangenheit an.

Als ich hier einzog, es war Hochsommer, faszinierte mich nicht unbedingt der pittoreske Blick auf die Köpenicker Altstadt, mich nahm eher die Aussicht zur anderen Seite ein. Alte, riesengroße Bäume, mit ihren Köpfen Richtung Spree nickend, als wollten sie aus dem Fluss trinken. Und einer davon war besonders eindrucksvoll. Durch das Jahr hindurch bezauberte die Eiche mit ihrem wechselnden Blätterkleid. Im Frühling hob sich ihr frisches, zartes Grün klar gegen den himmelblauen Himmel ab. Im Herbst legte sie ihr strahlendes gelbes Kleid an, das allmählich von Rot- zu Brauntönen wechselte und in der Abendsonne wunderschön leuchtete.

Vorbei.

Seit heute ist dieser Baum Geschichte und Erinnerung. In meiner Erinnerung werden diese Bilder bleiben, er war

Mein Freund, der Baum

Tschüss Baum, du warst ein treuer Begleiter über zehn Jahre an der Spree. Hast mein Herz stets erfreut und mir das Wunder der Natur gezeigt. Heute ist mir schwer zu Mute. Mein Herz weint. Arg sind die Bilder deines Niedergangs unter der kreischenden Motorsäge.

 

Es war vielleicht nur ein Baum. Und vielleicht wäre er auch bald von selbst gefallen, weil er irgendwann alt, krank und morsch gewesen wäre. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.