Heiligabend. Ich bin vor drei Stunden in Windhoek gelandet. Kein bisschen Weihnachtsstimmung kommt hier auf. Beim Umsteigen in Johannesburg habe ich ein paar Weihnachtsbäume gesehen. Und tatsächlich istmein doofer Witz in Erfüllung gegangen, dass ganz sicher dann keine Weihnachtsstimmung aufkommen wird, wenn neben afrikanischen Weihnachtsbäumen vielleicht hin und wieder ein Zebra steht. Denn neben dem Baum am Johannesburger Flughafen steht tatsächlich ein Zebra, naja, nicht im Ganzen, es hängen Zebrafelle daneben. Aber immerhin. So ist Weihnachten in diesem Jahr zu ertragen. Das erste Weihnachten ohne meinen verstorbenen Mann.
Es ist jetzt früher Abend. Hier in Windhoek geht gerade ein Platzregen nieder. Afrika klingt für den Moment tropfend und gewittrig. In der Hotellobby sitzen die Grüppchen zusammen, vorwiegend Teilnehmer aus Reisegruppen. Alle trinken Wein und warten darauf, dass das Restaurant öffnet.
Ich habe noch keinen Anschluss gesucht und gefunden. Meine Reisegruppe besteht aus zwei älteren Paaren und einer Vierergruppe, Eltern mit Sohn und Schwiegertochter. So gesehen ist mein Worstcase-Szenario eingetroffen: Ich werde diese Reise allein unter Paaren verbringen. So werde ich vermutlich heute allein speisen und wahrscheinlich auch an Silvester, wenn wir in Swakopmund Halt machen und der Abend zur Selbstorganisation freigegeben ist. Nun, egal, so ist es eben.
Ich würde ja auch gern einen Wein bestellen, aber der Kellner beachtet mich nicht. Dabei ist mir eigentlich so richtig nach Betrinken zumute. Doch schlafen werde ich nach der grausigen Nacht im Flieger sowieso mit Leichtigkeit. Auch ohne Alkoholpegel. Schlagkaputt bin ich. Falls ich hier nochmals herfahren sollte, will ich einen Direktflug Berlin – Windhoek. Das spart einfach mal locker sechs Stunden. Und wenn ich es mir leisten kann, will ich auch Businessclass. Die Holzklasse ist zum Übernachten einfach nicht geeignet.
Immer noch kein Kellner in Sicht. Ich habe Durst.
Der diensthabende Weihnachtsbaum funkelt in echter Las-Vegas-Manier. Zwar hängen keine Zebrafelle daneben, aber Ernst nehmen kann man ihn auch nicht.
Ich bin gespannt wie sich das Wetter entwickelt auf diesem Trip. Der Reiseleiter sagt, dass die Regenzeit begonnen hat und es passieren kann, dass wir einige Straßen unpassierbar vorfinden werden. Spannend.
Inzwischen habe ich doch einen Wein bekommen. Der Weißwein ist süffig und rund, und wenn es nicht morgen zeitig weitergehen würde, könnte man sich davon heute ein Fässchen genehmigen.
Immer wieder schweifen meine Gedanken nach Deutschland. Zu den Verwandten, die jetzt unterm Weihnachtsbaum sitzen. Und zu dem Versprechen, dass sich mein Mann und ich im vergangenen Jahr an Heiligabend gaben: Dass wir dieses Jahr Weihnachten nicht in Familie machen wollten, sondern lieber für uns in gemütlicher Zweisamkeit irgendwo im sonnigen Süden. Nun, in Teilen ist es wahr geworden. Ich bin südlicher als ich je in meinem Leben war. Nur, dass wir beide nicht gemeinsam im sonnigen Süden sind, war so nicht geplant. Und dass sich mein Mann gleich vollends aus dem Staub machst, auch nicht. Um den erdrückenden Bildern von einem Weihnachten ohne ihn zu entfliehen, erfülle ich mir meinen Kindheitstraum von der Etoshapfanne. Das Leben hat manchmal eine grausame Ader.
Die Situation entlockt mir ein bitteres Lachen. Heiligabend. Windhoek. Es regnet. Es sind übersichtliche 20 Grad im afrikanischen Hochsommer. Ich sitze auf der Terrasse des noch nicht geöffneten Hotelrestaurants und gucke in tropfnasse Dattelpalmen.
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