17. August 2020
Für einen geliebten Geist
Du bist ein Schatten am Tage,
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.
Wo ich mein Zelt aufschlage,
Da wohnst du bei mir dicht;
Du bist mein Schatten am Tage,
Und in der Nacht ein Licht.
Wo ich auch nach dir frage,
Find‘ ich von dir Bericht;
Du lebst im meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.
Du bist ein Schatten am Tage,
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage,
Und stirbst im Herzen nicht.
(Friedrich Rückert)
Heute wäre unser vierter Hochzeitstag gewesen.
20. Juni 2020
Ein Gedicht für zwei geliebte Männer
Heute vor elf Jahren feierten Henry und ich unseren gemeinsamen „90zigsten Geburtstag“ mit einer unvergesslichen Gartenparty im Brandenburgischen.
Heute vor sieben Jahren starb mein geliebter Henry.
Heute vor zwei Jahren verließen Joachim und ich Berlin, für immer. Wie glücklich und voller Ideen für unsere gemeinsame Zukunft waren wir. Auf den Flügeln des Glücks flogen wir gen Westen. Waren gespannt auf unser Leben im Westerwald. Hatten so viele Ideen für den Garten, für das Haus, für unser gemeinsames Leben.
Heute. Ich sitze in unserem Garten und staune über die unendliche Schönheit, die in den vergangenen zwei Jahren hier entstanden ist. Alles blüht in Fülle. In jeder Pflanze, jeder Blume, in jedem Strauch steckt unsere Geschichte, steckt unser gemeinsames Bemühen für diesen Garten. Hier hat Joachims und meine Liebe einen sichtbaren Ausdruck in der Welt gefunden.
Heute. Ich sitze allein in unserem Garten.
Heute vor sieben Monaten und 20 Tagen starb mein geliebter Joachim.
Dies ist das letzte Foto von Joachim in unserem Garten, als er im Oktober 2019 die neuen Gemüsebeete anlegte. Einen Monat später starb er völlig unerwartet an einem Herzinfarkt.
Das sind die Beete heute, am 20. Juni 2020, an unserem zweiten Jahrestag im Westerwald.
30. März 2020
Im November 2019, als mein Mann Joachim starb, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals wieder in unserem geliebten Garten zu arbeiten. Schon allein das Sitzen im Garten war mir ein Graus. Und dennoch tat ich es.
Jeden Morgen packte ich mich warm ein, ging mit meinem ersten Kaffee hinaus, setzte mich in Joachims Gartenstuhl, dort wo er in den vergangenen 16 Monaten jeden Morgen mit Kaffee und Zigarette gesessen hatte, lehnte mich in das Polster und spürte ihm nach. Ich spürte seine Wärme in meinem Rücken, seine Berührung, seine Liebe.
Ich betrachtete unseren Garten. Was hatten wir geschaffen in diesen 16 Monaten! Wir hatten Blumenbeete angelegt, Bäume und Büsche gepflanzt, Stauden gesetzt, ein Naschbeet und ein Kohlbeet ausgehoben, Hochbeete gezimmert, Komposte gebaut, eine Terrasse überdacht und ein Gartenhaus renoviert.
Ich saß dort in seinem Stuhl und sah Joachim, wie er Unkrautfolie herauszog, Steine schleppte, eine Abflussleitung legte, einen Verschlag fürs Kaminholz baute, wie er grub, hackte und mähte. Ich hörte seine Bitte an mich, an diesem Morgensitzplatz seine geliebten Osterglocken zu pflanzen. Ich sah seine überschäumende Freude, wenn er mir eine neue Pflanze für den Garten mitbrachte.
An jedem Morgen waren wir zusammen durch den Garten gegangen, hatten voller Staunen und Freude gesehen wie alles wächst und blüht. Das Wunder der Natur war wie unser gemeinsames Wunder der Liebe. Wir waren vom ersten Moment an verliebt gewesen und unsere Liebe wuchs von Tag zu Tag, war so klar und erfrischend wie die Blüte einer Osterglocke. Hier mit diesem Garten hatten wir das gefunden, was uns gemeinsam erfüllte.
Vorbei.
Jetzt gehe ich morgens allein durch den Garten. Sehe in jeder Blume, in jedem Strauch die Geschichte, welche die Pflanze mit uns verbindet. Gerade sprießt der Bärlauch, auf den wir beide uns vergangenes Jahr so gefreut hatten als wir ihn setzten. Und Joachims Sauerampfer liefert bereits zartgrüne Blätter für erfrischende Smoothies. Auch sein geliebter Mangold schlägt wieder aus. Und die Knospen des Kirschbaums, den wir gemeinsam ausgesucht haben, stehen kurz vor dem Aufbrechen. Ich höre unsere Gespräche über die Himbeere oder den Bambus und ob sie vielleicht zu Raum greifend sein würden. Und ich musste lächeln dieser Tage als ich sah wie emsig die Himbeere Ableger produziert. Joachim hatte mich gewarnt…
Alles ist voll von unseren Geschichten. Jetzt werden sie nicht mehr fortgeschrieben, jedenfalls nicht mehr als unsere Geschichten. Alles, was ab jetzt dazukommt, ist nur noch meine Geschichte. Wieder einmal stehe ich da mit der Rechnung „Wir minus eins gleich eins“.
Jetzt ist Frühjahr. Joachims Tod ist viereinhalb Monate her. Und die Natur gibt einen Scheiss darauf, ob es mir gut geht oder nicht. Das Unkraut sprießt, die Büsche wachsen, Blumen wollen bewundert und Beete geharkt werden. Und so schwer es mir auch fiel, ich habe auf die Natur gehört. Ich habe Unkraut gejätet, Beete vom Winterkleid befreit, gehäckselt und geharkt. Ich habe jemanden engagiert zum Büsche beschneiden und Rasen mähen. Und das fiel besonders schwer, denn das wären Joachims Arbeiten gewesen.
Vor ein paar Tagen habe ich sein Kohlbeet gesäubert, von dem Kohl befreit, den Joachim im Winter nicht mehr ernten und nicht mehr essen konnte. An seinem Morgensitzplatz blühen gerade die Osterglocken, die ich im Herbst dort für ihn gepflanzt hatte. All das sind kleine Abschiede, die jeden Tag zu einer Herausforderung werden lassen. Die Herausforderung heißt: Weiterleben und nicht aufgeben. Wie das geht? Die Natur macht es vor. Sie kennt keine Trauer. Sie macht einfach weiter.
20. Juni 2018
Irgendwann hat wohl jeder schon einmal darüber sinniert, wie schnell doch die Zeit vergeht. Und auch wenn die Zeit an sich objektiv für alle gleich schnell (bzw. langsam) vergeht, ist sie doch etwas ganz und gar subjektiv Empfundenes.
Heute, am 20. Juni 2018, ist es fünf Jahre her, seit mein ersten Ehemann tödlich verunglückte. In diesen fünf Jahren bin ich durch die Hölle gegangen und in den Himmel geflogen. Das Leben hält alles bereit. Das Eine wie das Andere. Ich will nicht von Gutem oder Bösem, von positiv oder negativ sprechen. Alles ist das, was jeder Mensch daraus macht. Ganz eigenverantwortlich. Und so kann auch im Fürchterlichen ein Funken Hoffnung stecken, und am Ende einer Geschichte eine Zukunft beginnen.
Verbunden bleiben
Als Henry starb wusste ich sofort, aus unserer gemeinsamen Wohnung kann ich nicht ausziehen, jedenfalls nicht sofort. Manche Freunde rieten mir dazu. Ich sagte Nein und blieb. Denn hier fühlte ich mich ihm verbunden, enger verbunden als sonst wo. Diese Wohnung hatten wir zusammen ausgesucht und gemeinsam zu unserem Zuhause gemacht.
Mit den Jahren merkte ich jedoch wie diese Verbundenheit an diesem Ort schwand. Und das lag nicht daran, dass ich irgendwann mit einem anderen geliebten Menschen hier lebte. Nein, es war vielmehr so, dass ich merkte wie meinen Erinnerungen an Henry Flügel wuchsen. Ich begann Orte zu besuchen, an denen wir zusammen gewesen waren. Es war etwas, das mir zu Beginn sehr schwer fiel, denn es belebte den Schmerz über den Verlust. Doch je öfters ich an Orte kam, die mich mit Henry verbanden, desto leichter fiel es mir, dort an ihn zu denken und unserer Liebe nachzuspüren.
Es ist immer ein Denken in Liebe und Verbundenheit, in Freude und Dankbarkeit für die wunderbare Zeit, die wir zusammen hatten, auch wenn es noch nicht einmal sieben Jahre waren.
Orte der Verbundenheit
Viel haben wir unternommen in diesen Jahren. Wir waren in Budapest, in Paris und in London, in Venedig und Warschau, auf Kreta, in meinem geliebten Harz, in Franken, im Erzgebirge, auf der Zugspitze, an der Nordsee, auf Rügen und oft an unserem gemeinsamen Sehnsuchtsort, auf dem Darss. Wäre es anders gekommen und Henry und ich hätten weiter zusammen gelebt, eines Tages wären wir wahrscheinlich auf den Darss gezogen, dahin, wo wir uns verliebt haben.
Während ich diese Bildergalerie zusammenstelle, laufen meine Augen über von Tränen und ich lache mich kaputt. Es sind Tränen der Trauer, die nie ganz vergehen wird, und Tränen des Glücks, dass ich mit diesem Menschen eine Zeit leben und ihn erleben durfte. Und es sind herzliche Lacher in Erinnerung an einen großartigen Menschen, der ungemein witzig sein konnte und mit dem das Reisen ein großes Vergnügen war. Danke, mein geliebter Henry, für sechseinhalb wunderbare Jahre.
Zu neuen Ufern
Heute, am 20. Juni 2018, verlasse ich unseren gemeinsamen Ort, ziehe ich aus unserer Wohnung, die wir beide so sehr geliebt haben, aus. Es fühlt sich passend an, an diesem Tag aufzubrechen in ein neues Leben. Es wird anders sein, an einem Ort zu leben, an dem mich nichts mit Henry verbindet. Dennoch bleibt die Verbundenheit, in meinen Erinnerungen und in meinem Herzen. Für immer.
20. Juni 2017
Es gibt eine Mauer in Gaza. Auf dieser Mauer stehen viele Sprüche. Ich habe dort auch mal einen hinschreiben lassen. Das war ein Projekt zweier Niederländer, wenn ich es recht entsinne. Dieses Projekt sollte arbeitslose Palästinenser unterstützen und ein Symbol des Krieges in Frieden verwandeln.
Ich fand das Projekt damals gut. Und ich wusste auch sofort, was ich auf diese Mauer schreiben lassen wollte. Eine Liebeserklärung an meinen Mann. Meinen damaligen Mann. Meinen ersten Mann. Mein Mann der genau heute vor vier Jahren tödlich verunglückte.
Als ich die Botschaft dort in Gaza beauftragte, lebte er noch. Wir waren noch gemeinsam glücklich und hatten noch vieles vor. „Vielleicht fahren wir auch mal nach Gaza, um deine Liebeserklärung zu suchen“, hatte mein Mann damals vorgeschlagen als ich ihm dieses Graffiti aus einer staubigen Wüste an 2012 Weihnachten schenkte.
Vielleicht fahre ich irgendwann mal hin. Wer weiß schon, was morgen passiert. Es können ganz wunderbare Dinge sein, wenn man die Kraft hat, sie zuzulassen. Ich hatte sie, und dafür bin ich dankbar und glücklich. Ich bin dankbar und glücklich für jeden Tag, für ein erfülltes, gemeinsames Leben mit dem Mann, den ich traf, um nach Trauer und Verlust wieder voll und ganz im Leben zu sein und in meinem Sein.
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